Die Sache mit dem Leseexemplar

Die Sache mit dem Leseexemplar

18. Oktober 2017 Blog 11

Vielleicht ist dem ein oder anderen von euch schon aufgefallen, dass im Herbst mein neues Buch Viel näher als zu nah erscheint. Also quasi jetzt. Oder vielmehr bald, denn noch ist es nicht soweit. Nur wer sich zum Kreis der Buchhändler oder Blogger zählen darf, der konnte vorab schon einen Blick hineinwerfen. Das Zauberwort heißt in dem Fall Leseexemplar.

Das sind Bücher, die der Verlag kostenfrei zur Verfügung stellt, um Aufmerksamkeit zu generieren. Geschenke. Werbung. Häufig werden sie sogar früher ausgeliefert als die Autorenexemplare. Ich warte immer noch auf mein Paket, während manch einer auf Instagram schon fleißig schöne Bilder des Covers, kunstvoll arrangiert vor prall gefüllten Bücherregalen postet.

Das Leseexemplar, dein Freund und Helfer – eigentlich

Grundsätzlich finde ich die Idee dahinter sehr gut. Ich meine, wie oft habe ich früher, als ich noch in der Buchhandlung gearbeitet habe, das Regal mit den Leseexemplaren durchgearbeitet und bin dadurch auf Titel gestoßen, die mir sonst durch die Lappen gegangen wären. Es ist eine effektive Möglichkeit, um die Augen der Influencer auf bestimmte Titel zu richten und damit, wie oben bereits angemerkt, Aufmerksamkeit zu generieren.
So weit, so gut.

Unschön wird es dann, wenn ebendiese geschenkten Exemplare bereits auf Plattformen wie Momox oder Rebuy verscherbelt werden und dadurch als gebrauchte Artikel im Netz auftauchen, noch bevor das Buch überhaupt ausgeliefert wurde. Da steht dann auf Amazon etwas wie

Dieser Artikel ist noch nicht erschienen. Aber du kannst ihn vorbestellen – oder hier gebraucht kaufen! Wooohoo!

Im ersten Moment fällt einem da als Autor*in die Kinnlade runter, und langsam, ganz langsam, arbeitet sich ein Ausruf durch das Hirn à la “What the f***!”
Wir erinnern uns, dieses Buch ist noch nicht lieferbar. Man konnte es bisher nur lesen, wenn man es als ein Geschenk des Verlags erhalten hat. Oder als ein Rezensionsexemplar, das dann aber bitte auch baldmöglichst rezensiert werden sollte.

Hier hat also jemand mein Buch verkauft, obwohl er es im Zuge einer Werbeaktion geschenkt bekommen hat. Und das – ich werde nicht müde, darauf hinzuweisen –, obwohl es noch nicht einmal regulär lieferbar ist.

Warum das ziemlich doof ist

Keine Ahnung, ob ihr nachvollziehen könnt, weshalb mich das so maßlos ärgert. Einige werden wahrscheinlich sogar denken, dass ich gar kein Recht habe, mich darüber aufzuregen. Doch falsch gedacht, dieses Recht habe ich als Urheberin des Buches sehr wohl. Ich habe es geschrieben! Und nun machen Menschen damit Geld, die es bestenfalls gelesen haben. Ich zähle mal ein paar Punkte auf, um meine Denke zu verdeutlichen.

  1. Wenn es denn tatsächlich ein (vielleicht sogar angefragtes) Rezensionsexemplar (oder mehrere?) war(en), wurde aller Sinn und Zweck dieses Leseexemplares mit Füßen getreten. Bisher ist nämlich nur eine einzige Rezension im Netz aufgetaucht, und ich bin nicht gewillt, genau dieser Person das hier beschriebene Dilemma vorzuwerfen. Das Buch wurde also (möglicherweise) gelesen, nicht besprochen und verkauft.
     
  2. Man hat sich nicht mal die Mühe gemacht, das offizielle Erscheinungsdatum abzuwarten. Leute, die mein Buch haben möchten, können es also bereits gebraucht billiger kaufen, obwohl die (Buch-)Händler es noch gar nicht an Lager haben.
     
  3. Wer verdient daran? Nun, derjenige, der es verkauft. Und Momox, Rebuy und Medimops. Sonst niemand. Ich als Urheberin sehe davon nicht einen Cent. Der Verlag im Übrigen auch nicht, denn Werbung wurde ja keine gemacht.
     
  4. Wer bezahlt dafür? Nun, auch ich, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Kann der Verlag die auf diesem Wege ausgegebenen Bücher als Werbung kennzeichnen und absetzen, liegt die Sache bei mir völlig anders. Jedes Leseexemplar, das an Händler, Blogger, Journalisten etc. gesandt wird, geht von meiner Erstauflage ab. Allerdings zählt keins davon als Verkauf. Sprich, diese Bücher werden verschenkt, ich erhalte keine Tantiemen dafür. Nichts. Und natürlich verdiene ich auch nichts, wenn Medimops die dann gebraucht anbietet.
     
  5. Es ist schlicht verboten, Leseexemplare ohne Zustimmung des Urhebers zu verkaufen. Meist wird das in einem gesondert ins Buch gedruckten Passus noch einmal erwähnt, leider nicht immer.

Ich könnte noch eine Weile so weitermachen, aber ich schreibe mich in Rage. Und das ist nicht gut.

Das Problem dabei ist Folgendes

Ziemlich sicher können sich die Wenigsten vorstellen, was ein Autor verdient. Aktuell streift ein Artikel der SZ durchs Netz (hier nachzulesen), der schon krasse, doch zum Teil sogar noch recht annehmbare Zahlen offenbart. Wenn dann allerdings auch noch die Verkäufe, die einem Autoren das kontinuierliche Schreiben überhaupt erst ermöglichen sollen, wegfallen, weil der “Gebrauchtwaren-Markt” boomt, tja dann sieht es düster aus im Märchenwald.

(Anmerkung: Ich rede hier nicht von Büchern, die selbst erstanden und dann weiterverkauft werden! Das ist erlaubt, und daran haben Autor und Verlag auch schon verdient.)

Und jetzt zu einer Überlegung, die diese ganze Aktion nach sich zieht.
Von vielen Seiten ist der Ruf nach mehr Diversität, Flexibilität, Mut und neuen Ufern im Kinder-/Jugendbuch zu hören. Mal ehrlich, ein Großteil der Bücher wird von Eltern und Großeltern gekauft, die in ihrem Denken möglicherweise (noch) ganz anders aufgestellt sind. Dementsprechend groß ist der Anteil an Mainstream-Titeln, die nach wie vor über die Ladentheke gehen. Wer als relativ unbekannter Autor Diversität einbringen will, muss das entweder in winzigen Dosen machen oder schlimmstenfalls mit Umsatzeinbußen rechnen. So ist es leider. Die Buchwelt ändert sich in homöopathisch kleinen Schritten. Dass sich zumindest an den gebotenen Inhalten allmählich etwas ändern könnte, lässt die Verleihung des Deutschen Jugendliteraturpreises in der Sparte Jugendjury an Becky Albertalli mit ihrem Werk Nur drei Worte erhoffen. (Wohlgemerkt: Jugendjury!)

Worauf ich hinaus will: Wer in der Literatur mutig sein will, muss sich warm anziehen. Denn solange das Recht und der Verdienst gerade kleiner Autor*innen dadurch beschnitten wird, dass das Geschäft mit den Freiexemplaren immer mehr boomt, werden ebendiese Leute nie davon leben können. Und wahrscheinlich lieber weiter Mainstream veröffentlichen, als durch (leider) schwer verkäuflichere Titel noch mehr Geld einzubüßen. Denn dass ich nicht die einzige bin, die unter diesem Phänomen zu leiden hat, ist mir inzwischen schmerzlich klar geworden.

Eigentlich ist es gar nicht meine Überzeugung, nur zu schreiben, was garantiert gelesen wird und den Geschmack der breiten Masse trifft. Ich würde so gerne mutiger sein! Aber aktuell befinde ich mich tatsächlich an einem Punkt, der mir kaum eine andere Wahl mehr lässt, als den Mainstream zu bedienen. Wie jeder andere Mensch auch muss ich nämlich Geld verdienen. Und das Abwandern der Autor*innen von unausgetretenen Wegen wird durch Aktionen, die ihnen finanziell schaden, nur noch unterstützt.

 

11 Antworten

  1. […] Schon lange überlege ich diesen Beitrag zu schreiben, fand allerdings nie die richtigen Worte und auch nicht die Zeit. Doch heute entdeckte ich bei Twitter den Beitrag der Autorin Angela Kirchner. Sie berichtet, wie sie auf Medimops ihr neues Buch entdeckte. Vor dem offiziellen Verkaufsstart. Ihren Ärger verstehe ich, denn sie erklärt, dass es sich bei dem Exemplar, das dort zum Verkauf angeboten wird, um ein kostenloses Rezensionsexemplar handeln muss und sie am Ende nichts an diesem Buch verdient. Weitere Informationen gern bei ihrem Beitrag „Die Sache mit dem Leseexemplar“. […]

  2. Juliana sagt:

    Ein starker Beitrag, besser kann man es wahrscheinlich kaum auf den Punkt bringen! Das Problem sind hier tatsächlich nicht die Plattformen für gebrauchte Bücher, sondern die Person, die aus einem solchen Freiexemplar Geld herausschlägt. Dass das sogar noch vor Erscheinen stattfindet, bringt das Fass dann nur zusätzlich zum Überlaufen.
    Ich bin momentan als Auszubildende im Buchhandel tätigt und hätte in diesem Zusammenhang eine andere Frage, die im Grunde nicht direkt mit dem vorliegenden Fall zusammenhängt, aber eben mit dem Thema Leseexemplar. Ist es erlaubt solche Exemplare nach dem Lesen (nach dem Erscheinen versteht sich von selbst) beispielsweise in offene Bücherschränke zu stellen oder an andere Leute/Freunde zu verschenken? Wie siehst du das als Autorin? Wie sieht das ein Verlag?

    Viele Grüße
    Juliana

    • Angela Kirchner sagt:

      Liebe Juliana!

      Erst mal danke für dein Feedback. 🙂
      Es ist mir in dem Zusammenhang auch wichtig, dass die Plattformen da nicht an den Pranger gestellt werden, denn auch die Idee dahinter ist im Grunde ja nicht verkehrt. Schön wäre allerdings ein System, welches solche Fehler erkennt und ahndet, aber dafür müssten die Bücher wirklich durchweg vom Verlag als Lese-Exe gekennzeichnet sein. Und das wird wohl schwierig.
      Auf deine Frage kann ich inzwischen sogar eine sehr genaue Antwort geben: Es ist erlaubt, die Bücher privat zu verschenken. Jegliche Art von Verkauf und/oder Abgabe in die Bibliothek ist nicht gestattet. Letzteres wusste ich bis vorhin auch noch nicht, ehrlich gesagt.

      Alles Liebe dir und viel Vergnügen bei deiner Ausbildung. Du hast definitiv einen der schönsten Berufe aller Zeiten gewählt! <3

      Angela

  3. bknicole sagt:

    Deinen Ärger kan nich komplett nachvollziehen, finde das auch ganz ehrlich ziemlich dreist und wird das nicht sogar verboten bei einem Rezenionsexemplar? Ich meine da mal was gelesen zu haben in die Richtung. Aber selbst wenn es nicht verboten wäre, würde mir sowas nie einfallen, aus den dir beschriebenen Gründen. Denn das viele Autoren mittlerweile nicht mehr von ihrem Buch leben können, finde ich verdammt schade. Das darf einfach nicht sein.

    Doch leider gibt es immer Schwarze Schafe, die sich da wohl nicht dran halten werden und nur die Möglichkeit sehen irgendwie einen finanziellen Vorteil aus der Sache zu ziehen. Dass diejenigen aber auch die ganze Bloggerszene in Verruf bringen, scheint sie nicht zu stören.

    • Angela Kirchner sagt:

      Liebe Nicole!

      Danke für deinen Kommentar. Und ja, es ist tatsächlich verboten. Das Problem ist nur, dass Autoren privat meist die Mittel fehlen, um solche Vergehen juristisch ahnden zu lassen, und Verlage diesbezüglich wohl (noch) keinen großen Drang zum Handeln verspüren. Getreu dem Motto “Wo gehobelt wird, fallen Späne”.
      Und erstaunlich, ja geradezu erschreckend finde ich, dass diese wenigen schwarzen Schafe völlig unerkannt in der Masse untertauchen können. Es steht ja niemand auf und gibt so was zu. Warum auch? Hat ja Kohle eingebracht …

      Liebe Grüße
      Angela

  4. Connie sagt:

    Ich bin selbst Bloggerin und beziehe auch Leseexemplare. Ich finde es eine Frechheit, diese noch vor Erscheinungsdatum zu verkaufen.

    • Angela Kirchner sagt:

      Liebe Connie!

      Danke dir. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass die meisten nicht mal auf die Idee kommen würden. Einige aber eben schon, und wie viele genau, das wird man leider nicht so schnell herausfinden.
      Ich hoffe ja, dass durch den Spot auf dieses Problem auch die Hemmschwelle der “Täter” steigt und die Verlage früher oder später durchgreifen, sobald das auffliegt.

      Liebe Grüße dir
      Angela

  5. Michael sagt:

    Ein wirklich interessanter Beitrag, denn das Thema war mir jetzt irgendwie total neu.
    Ich beziehe meine Bücher auch oftmals als Rezensionsexemplar, aber das gute Stück dann zu verkaufen wäre mir noch nie in den Sinn gekommen.

    Ich hatte mal darüber nachgedacht, die rezensierten Bücher unter den Lesern meines Blogs zu verlosen, aber bei fünf regelmäßigen Lesern lohnt sich das auch nicht so recht 😀

    Auf jeden Fall ist der Verkauf dieser Bücher wirklich nicht in Ordnung. Vielleicht könnte man ja die Verkäufer an die betreffenden Verlage melden? Dann bekommen diese Leute wenigstens so schnell keine Rezensionsexemplare mehr.

    Viele Grüße,
    Michael, der Couchpirat

    • Angela Kirchner sagt:

      Lieber Michael!

      Tja, stille Wasser sind tief und dreckig. 😀
      Es freut mich aber zu lesen, wie viele positive Rückmeldungen ich bekomme, und dass sich die meisten Empfänger solcher Bücher an die Regeln halten. Deinen Vorschlag würde ich nur allzu gern annehmen, allerdings ist der Verkäufer auf Medimops ja nicht auffindbar. Sprich ich müsste erst juristische Schritte einleiten, um überhaupt irgendwann an den Namen zu gelangen. Bis ich mir das leisten kann, müssen aber noch viele, viele Leute meine Bücher kaufen. 😀

      Alles Liebe dir und weiterhin viel Spaß beim Bloggen
      Angela

  6. Jogi sagt:

    Liebe Angela Kirchner,
    vielen Dank für diesen Blog.
    Ich selbst bin Betreiber einer Website und Verkaufsplattform für Antiquarische Bücher und Modernes Antiquariat. Die meisten meiner Angebote liste ich auf booklooker.de
    Mir kommen keine Leseexemplare in den Verkauf auf meiner Seite, schon gar nicht unveröffentlichte Exemplare. Leider halten sich nicht alle Händler daran.Natürlich fallen auch mir immer wieder solche Exemplare beim Ankauf meiner Ware in die Hände. Die gesetzliche Regelung ist ganz klar und deshalb dürfen diese Bücher nicht zum Verkauf angeboten werden.
    In der Preisbindung befindliche Bücher, sind wenn es der gebrauchte Zustand erlaubt, als Mängelexemplare zu kennzeichnen und so anzubieten. Ohne wenn und aber…Leider halten sich meiner Erfahrung nach die wenigsten daran…
    Bücher die aus der Preisbindung sind können verkauft werden, auch das ist Ok.
    Für Leseexemplare habe ich eine gute Lösung gefunden: Ich verschenke sie einfach an Menschen, von denen ich weiß, das es ihnen schwerfällt sich Verlagsfrische Bücher zu kaufen (und davon gibt es leider mehr als genug)
    In diesem Sinne, weiter kreative und wirtschaftliche Kraft zum Schreiben!
    Wichtig in jedem Fall, ein Buch das zum Wiederverkauf angeboten wird, sollte zumindest einmal im regulären Neuwarenhandel über den Ladentisch gegangen sein. Nur so verdient auch der Autor/Autorin ihr Geld.

  7. Tabea sagt:

    Ohje… Das liest sich wirklich gar nicht gut und ich kann seinen Ärger nur zu gut verstehen.
    Neben mir liegt er Grade das erste Leseexemplar meines Lebens, welches ich auf der Buchmesse ergattern konnte. Da steht sogar extra drauf, dass es unverkäuflich ist. Aber auch sonst wäre ich nicht auf die Idee gekommen, dass Ding auf den Gebrauchtmarkt zu dchleudern, weil es einfach respektlos wäre.

    Dass die oben angeprangerten Leute dir damit die Möglichkeiten kaputt machen, abseits des Mainstreams zu schreiben, ist wirklich schade.

    Ich drücke die also die Daumen für die Verkäufe!

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